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01 Cover
02 Inhalt
03 Vorwort
04 Interview Armin Grein
05 Interview Sabine Sitter
06 Unterwegs mit dem Rad
07 Kinderseite
08 Landkreisfest
09 Veterinäramt
10 Asyl und Integration
11 Was macht eigentlich...
12 Klinikum Main-Spessart
13 Ferienprogramm

„Auch mit Steinen, die im Weg liegen, kann man etwas Schönes bauen, wenn man den Mut hat, anzupacken“. Landrätin Sabine Sitter zeigt sich erfreut über die Entwicklungen im Landkreis.

>> INTERVIEW

„Wer mutig ist, wird belohnt“

Seit drei Jahren ist Landrätin Sabine Sitter im Amt – und ihre Behörde weiterhin im Krisenmodus. Im Interview spricht sie über aktuelle Aufgaben und Herausforderungen und erklärt, wie Probleme künftig angegangen werden sollten, damit sich unsere Gesellschaft weiter in die richtige Richtung bewegt.

>> INTERVIEW

„Wer mutig ist, wird belohnt“

Seit drei Jahren ist Landrätin Sabine Sitter im Amt – und ihre Behörde weiterhin im Krisenmodus. Im Interview spricht sie über aktuelle Aufgaben und Herausforderungen und erklärt, wie Probleme künftig angegangen werden sollten, damit sich unsere Gesellschaft weiter in die richtige Richtung bewegt.

„Auch mit Steinen, die im Weg liegen, kann man etwas Schönes bauen, wenn man den Mut hat, anzupacken“. Landrätin Sabine Sitter zeigt sich erfreut über die Entwicklungen im Landkreis.

Frau Sitter, was bereitet Ihnen momentan echte Kopfschmerzen? Sabine Sitter: Meine Gedanken darüber, aus welchen Gründen Menschen ihr Heimatland verlassen und flüchten. Wie schlimm müssen die Zustände sein? Wie groß muss die Verzweiflung sein? Das fordert mich emotional stark heraus. Und ich mache mir viele Gedanken darüber, wie wir Menschen auf der Flucht, die bei uns im Land ankommen, angemessen helfen können. Welche aktuellen Projekte lassen Sie erwartungsfroh auf das restliche Jahr blicken? Die Umsetzung des Technologietransferzentrums, das einen Wissens- und Technologieaustausch zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft ermöglicht. Auch das Zentralklinikum nimmt Fahrt auf, die Mühen der vergangenen Jahre tragen auch hier endlich erste Früchte. Als Drittes fällt mir das Leitbild des Landkreises ein, das wir zusammen mit dem Kreistag in den vergangenen Monaten erarbeitet haben. Es wird uns ein Leitfaden sein, wie wir den Landkreis in Zukunft gestalten und effizient wie auch effektiv nach vorne bringen werden. Die Hälfte der Legislaturperiode ist verstrichen. Welches Resümee ziehen Sie nach der ersten Halbzeit? Es war ein harter, kräftezehrender und steiniger Weg – nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitarbeitenden im Landratsamt. Wir sind jede neue Situation möglichst lebensnah und lösungsorientiert angegangen und haben die Herausforderungen zusammen mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern gut gemeistert. Meine Devise: Auch mit Steinen, die im Weg liegen, kann man etwas Schönes bauen, wenn man den Mut hat, anzupacken. Ich bin in Sorge, dass Krisen aufgrund der zunehmenden Globalisierung zur neuen Normalität gehören und wir uns auch im Lokalen dauerhaft auf immer neue Herausforderungen einstellen müssen. Welche Ziele haben Sie im Blick? Meine Ziele umfassen die Projekte, die aktuell laufen. Darauf bleibe ich fokussiert. Neue Projekte können wir definitiv nicht schultern. Wir müssen unter anderem als untere Katastrophenschutzbehörde einsatzbereit bleiben, Krisen managen und noch die Möglichkeit haben, das Alltagsgeschäft zu bestreiten. Das ist mitunter schwierig – auch weil Kommunalbehörden vom Staat immer mehr Aufgaben übertragen werden. Doch liegt in der Zunahme an Aufgaben nicht auch ein Zugewinn an Gestaltungsmöglichkeiten? Gestalten zu können, ist wunderbar. Wenn die Anforderungen immer zahlreicher werden, wird es jedoch schwierig: Wir können irgendwann nicht mehr jeder Aufgabe die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die sie benötigt; und wir brauchen insgesamt mehr Zeit. Für die Bürgerinnen und Bürger führt dieser Stau beim Abarbeiten dazu, dass wir an manchen Stellen als Verhinderungsbehörde wahrgenommen werden. In Wirklichkeit handeln wir so schnell, wie wir können und es die Gesetzgebung erlaubt. Also besser weniger Aufgaben und alles ist gut? Ein Problem kann nur dann gut gelöst werden, wenn es grundlegend betrachtet wird und nach einer Lösung gesucht wird, die nachhaltig ist. Wir leben in einer Demokratie, in der geordnet gearbeitet werden muss, in der sich jeder seiner Rolle klar sein muss. Sonst gerät alles ins Schleudern. Wie begegnet man Krisen am besten? Im Idealfall präventiv. Beispiel Umwelt: Man muss sich vor Augen halten, dass wir in einer Transformationszeit leben. Wassermangel wird ein immer größeres Thema, unser Ökosystem verändert sich, Arten sterben aus. Wir können künftig nicht mehr so leben wie bislang. Wir müssen uns beschränken, um nachhaltiger zu sein. Die Natur braucht Refugien, in die der Mensch nicht ungehindert eingreifen kann, wie zum Beispiel die Kernzonen eines Biosphärenreservats. Um diese transformatorische Mammutaufgabe zu schaffen, müssen wir uns noch mehr verknüpfen. Damit meine ich, soziale, ökologische und ökonomische Fragen nicht getrennt voneinander zu betrachten oder sogar gegeneinander aufzurechnen. Alles hängt mit allem zusammen. Ist dieser Denkansatz auch schon im Landratsamt angekommen? Früher war Verwaltung ein lineares Geschäft, jede Abteilung hat sich um ihre Angelegenheiten gekümmert. Heute beobachte ich, wie verschiedene Abteilungen zusammenarbeiten, sich beraten und gegenseitig unterstützen. Im Kreistag spüre ich großen Zusammenhalt. Das Gremium entwickelt sich weiter und arbeitet immer stärker konstruktiv miteinander, alle denken verknüpfter. Diese Entwicklung begrüße ich sehr in unserer komplexen Welt.

Nicht nur die Aufgaben werden zahlreicher, sondern auch die Verordnungen. Dafür benötigt man gut geschultes Personal. Haben Sie genug davon? Bislang konnten wir die ausgeschriebenen Stellen in der Regel besetzen. Besonders freuen wir uns über Menschen aus dem Landkreis, die ihre Heimat kennen und lieben. Einige sind aus der freien Wirtschaft zu uns gewechselt, das zeugt von unserer Attraktivität. Verschweigen möchte ich aber nicht, dass die Arbeit zwar Spaß macht, aber auch anstrengend ist und viel Sachverstand erfordert. Vielleicht ist auch deshalb die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber seit einiger Zeit rückläufig. Damit wir auch künftig alle frei werdenden Stellen besetzen können, haben wir vor kurzem eine Ausbildungsoffensive gestartet. Wie schreitet die Digitalisierung im Landratsamt voran? Wir haben zwei engagierte Mitarbeiter, die sich bestens um dieses Thema kümmern. Zuletzt richteten wir im Landkreis ein Treffen der Digitalbeauftragten der unterfränkischen Landratsämter und kreisfreien Städte aus. Wir glänzen mit unseren Bemühungen und sind als Digitales Amt ausgezeichnet worden. Wir freuen uns über das 50-jährige Bestehen des Landkreises Main-Spessart, wir müssen aber auch an die nächsten 50 Jahre denken. Und die werden hochdigitalisiert sein. Die Konflikte der Welt gehen auch an Main-Spessart nicht spurlos vorbei. Die Zahl der Geflüchteten steigt. Welche Auswirkungen sind hier zu spüren? Aktuell halten sich im Landkreis 1.002 Asylbewerber auf (Stand Juni 2023), von denen ein Teil in der Obhut des Landkreises ist, ein weiterer Teil wird von der Regierung von Unterfranken betreut. Hinzu kommen 1.073 Menschen aus der Ukraine, die es bis hierhin geschafft haben (Stand Juni 2023). Für die meisten konnten wir bereits private Unterkünfte finden. Was kostet das den Steuerzahler? Die Unterbringung bezahlt der Freistaat Bayern. Sobald ein Asylbewerber anerkannt ist, kommt er ins deutsche Sozialsystem und erhält die entsprechende Fürsorge. Die Frage nach den Kosten zielt aber am eigentlichen Problem vorbei und ist meines Erachtens zu kurz gegriffen. Es ist Krieg in der Welt und der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Wir müssen Unterkünfte finden und den Menschen helfen. Wie viele Menschen aus Ihrer Behörde helfen mit? 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Abteilungen waren zu Spitzenzeiten für die Bewältigung dieser Krise abgestellt. Hinzu kommen die Blaulichtorganisationen, die jeden Tag alles geben. Oft ist man den Schicksalen der Geflüchteten sehr nahe. Ich sehe, dass das etwas mit meinen Leuten macht, es sie verändert. Leid und Not gehen nicht spurlos an ihnen vorbei. Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft an einem Strang ziehen. Wir sind auf die Mithilfe der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Denn unser Ziel ist unumstößlich: Wir werden für jeden Geflüchteten eine Unterkunft finden. Was erwidern Sie Personen, die sich über Geflüchtete und Asylanten aufregen oder sich vor einer Überfremdung fürchten? Die Zuwanderung in Deutschland muss uns keine Sorge machen. Im Gegenteil: Wir brauchen sie, um so vielfältig und attraktiv zu bleiben, wie wir es jetzt sind. Zuwanderung ist nichts Neues, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kommen Ausländer nach Main-Spessart. Alle Menschen, die sich seitdem hier niederließen und Teil des Landkreises wurden, haben unsere Orte und unsere Geschichte geprägt. Im Landkreis leben heute Menschen aus 133 Nationen. Main-Spessart war, ist und bleibt international. Wir können Zuwanderung, sogar richtig gut. Gleichwohl kann es nicht schaden, wenn die behördliche Arbeit transparenter gestaltet wird. Übrigens: Wer wissen möchte, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein, sollte die Ausstellung „Woher – Wohin?“ des Bezirks Unterfranken im Spessartmuseum besuchen, die noch bis September läuft. Dort werden wichtige Fragen beantwortet und es wird gezeigt, wie Zuwanderung einen Zugewinn an kulturellen Einflüssen und inspirierendem Austausch ermöglicht. Danach lassen sich vielleicht auch Kritiker für die gute Sache begeistern. Was kann der Einzelne tun, damit das Zusammenleben aller besser gelingt? Das Wichtigste: auf den anderen zugehen und miteinander reden. Im Supermarkt, auf der Straße, auf dem Spielplatz. Dazu gehört Mut, das weiß ich. Aber wer mutig ist, wird belohnt. Hier spreche ich nicht nur Deutsche an, sondern auch Menschen, die ins Land gekommen sind. Trauen Sie sich und machen Sie den ersten Schritt! Offenheit ist auf beiden Seiten nötig, um Verständnis zu schaffen. In unserer Vorbildfunktion richten wir deshalb in diesem Jahr auch erstmals einen Einbürgerungsempfang aus. Gemeinsam geht mehr, sagen Sie. Das sieht man auch am neuen Technologietransferzentrum (TTZ). Was bedeutet die Ansiedlung für den Technologiestandort Main-Spessart? Wir haben im Landkreis mit dem TTZ das Prädikat eines Hochschulstandorts erhalten. Indus­trie, Hochschule und Landkreis bündeln im TTZ ihre Kräfte und erreichen gemeinsam neue Ziele. Die Unterbringung in Marktheidenfeld ist gut gewählt, denn dort sind die meisten Industriefirmen angesiedelt. Wir als Landkreis profitieren enorm vom TTZ, denn es macht uns auf der wissenschaftlichen Landkarte sichtbar und erhöht unsere Attraktivität im Wettbewerb um Nachwuchskräfte. Am Projekt gefällt mir auch das gemeinschaftliche Vorgehen der drei Landkreise Bad Kissingen, Kitzingen und Main-Spessart, die sich gemeinsam um jeweils ein TTZ in ihrer Region bemüht haben – und erfolgreich waren. Welche Vorhaben werden nun zuerst angegangen? Aktuell gibt es eine Stiftungsprofessur, die von sechs Firmen finanziert wird. Im Oktober wird dann festgelegt, wer die Professorenstelle übernimmt. Gerade befindet sich alles noch in einem Findungsprozess. Das braucht Zeit. Und die nehmen wir uns bei all unseren Projekten. Denn auch hier gilt, was ich vorhin schon gesagt habe: Statt uns möglichst viel vorzunehmen, sollten wir lieber das, was wir haben, möglichst gut machen. •

Fotos: Daniel Peter


Sabine Sitter Die 47-jährige Klinische Sozialarbeiterin ist Mitglied der CSU und seit 2020 Landrätin des Landkreises Main-Spessart. Geboren wurde sie in Karlstadt, aufgewachsen ist sie im Saaletal.