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„Ich war ein Novum“
Altlandrat Armin Grein kann auf ein bewegtes und erfülltes Politikerleben zurückblicken und prägte die Geschichte des Landkreises und der Landespolitik maßgeblich mit. Im Interview gibt er Einblicke in seine Art der Amtsführung, resümiert Wegmarken seiner Karriere und verrät, ob er einst getroffene Entscheidungen heute anders fällen würde.
„Um die Zukunft des Landkreises mache ich mir keine Sorgen“: Weitblicke aus dem Wohnzimmerfenster.
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„Ich war ein Novum“
Altlandrat Armin Grein kann auf ein bewegtes und erfülltes Politikerleben zurückblicken und prägte die Geschichte des Landkreises und der Landespolitik maßgeblich mit. Im Interview gibt er Einblicke in seine Art der Amtsführung, resümiert Wegmarken seiner Karriere und verrät, ob er einst getroffene Entscheidungen heute anders fällen würde.
„Um die Zukunft des Landkreises mache ich mir keine Sorgen“: Weitblicke aus dem Wohnzimmerfenster.
Herr Grein, was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Gebietsreform von 1972 denken? Armin Grein: Die Benachteiligung Marktheidenfelds. Als der Vater der Gebietsreform, der bayerische Innenminister Bruno Merk, die Landkreise neu einteilte, war man sich nicht sicher, wie man mit den Altlandkreisen verfahren sollte. Da gab es Konfrontationen, weil jeder auf seine Eigenständigkeit pochte. Aber es half alles nichts. Alle Altlandkreise wurden zurechtgestutzt, am meisten litt Marktheidenfeld. Wir verloren 5.000 Einwohner an Würzburg und weitere 5.000 an Miltenberg. Seit 1972 waren Sie Bürgermeister der Stadt Marktheidenfeld. Sie waren also ganz nah dran. Ja, und ich erinnere mich an viele Beschwerden. Nicht nur die Landkreise wurden auseinandergerissen, auch die sozialen Verflechtungen, die Behörden und Institutionen. Die Reform hatte Auswirkungen auf die Lebenswelt jedes einzelnen Bürgers. Deshalb war ich wahrscheinlich auch Bürgermeister geworden, weil die Leute mir zutrauten, dass ich das entstandene Ungleichgewicht wieder ausgleichen könnte. Bei der Diskussion um den künftigen Sitz des Landratsamts spielte Marktheidenfeld keine Rolle. Nein, der Kampf tobte zwischen Lohr und Karlstadt. Übrigens kam das Landratsamt nur deshalb dorthin, weil sich der damalige Karlstadter Landrat Erwin Ammann durchsetzen konnte. Er argumentierte unter anderem damit, dass es nur in Karlstadt ein neues, modernes Landratsamtsgebäude gäbe. Die Entscheidung zwang die stolzen Lohrer zum Demonstrationszug nach München, wo unter anderem der damalige Lohrer Stadtpfarrer Karl Haller dem Staatsminister öffentlichkeitswirksam die Beichte abnehmen wollte, weil er angeblich bei der Reform so viel gelogen habe. Altgediente CSUler traten aus Protest aus der Partei aus und gründeten die Main-Spessart-Union. An allen Ecken rumorte es, es ging damals wahnsinnig rund. Diese Auseinandersetzung zwischen Lohr und Karlstadt wirkt bis heute nach. Was taten Sie, nachdem die Gebietsreform erfolgt war? Als Bürgermeister von Marktheidenfeld habe ich erkannt, dass wir andere Standortfaktoren schaffen müssen. Also bauten wir den Freizeit- und Tourismussektor aus. Das Maradies, ein für die damalige Zeit sehr großes Erlebnisbad, entstand. Um das Bad herum siedelten wir die Schulen an, eine Seenlandschaft, eine Tennishalle, eine Einrichtung für Behinderte. Das und viele weitere Maßnahmen steigerten die städtische Attraktivität. Im Gegensatz zu anderen Städten ist die Stadt Marktheidenfeld infolge der Gebietsreform nicht sonderlich angewachsen. Das stimmt, wir haben nur wenige Eingemeindungen zu verzeichnen gehabt. Das lag aber sicherlich nicht an der Untätigkeit der Politik. Ich erinnere mich, wie ich in fast allen Ortschaften abgewiesen wurde, wie Türen verschlossen blieben. Es wurden untragbare Forderungen gestellt, die Eingemeindungen unmöglich machten. Aber: Wir haben eine Verwaltungsgemeinschaft auf die Beine gestellt, die in der Stadt angesiedelt ist. Am Ende war es die beste Lösung für alle. Die Gemeinden konnten eigenständig bleiben, aber die gemeinsame Verwaltung wanderte in die Stadt. Vielleicht wäre dieses Modell auch an anderen Orten die bessere Option gewesen. 1984 wurden Sie Landrat. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag im Amt? Ja. Der Regierungspräsident war da. Er machte allen klar, dass hier kein Mitglied der SPD oder CSU vor ihnen stünde, sondern der erste freie Landrat Bayerns. Ich war ein Novum. Neu war auch die Art der Amtsführung. Ich hatte nie eine absolute Mehrheit, aber ich habe dennoch 90 Prozent meiner Vorhaben durchgebracht. Fanden Sie sich schnell im neuen Amt zurecht? Durch meine Tätigkeit als Bürgermeister hatte ich schon Erfahrung in der Verwaltung. Zudem hatte ich gute Leute um mich herum. Den Juristen, die mich berieten, sagte ich, dass ich nie hören möchte, was nicht geht, sondern nur, wie etwas gut gelingen kann. Lebenspraktisch und realitätsnah sollten meine Amtshandlungen sein, das war meine Maxime. Wenn ich bedenke, dass ich vier Mal gewählt wurde und am Ende meiner Amtszeit lediglich aus Altersgründen ausschied, kann ich behaupten, dass die Bevölkerung mit meinem Handeln zufrieden gewesen sein muss. Welche Tugenden sind wichtig für das Amt? Man muss kompetent und lernfähig sein sowie gut vermitteln können. Ich musste meine eigene Meinung oft hintanstellen oder aufgeben, um gemeinsam mit allen etwas voranzubringen. Man kann – im Gegensatz zum Bürgermeisteramt – als Landrat nicht mehr alles überblicken oder Entscheidungen allein treffen.

Ich musste meine eigene Meinung oft hintanstellen oder aufgeben, um gemeinsam mit allen etwas voranzubringen.
Waren Sie ein nahbarer Landrat? Das würde ich behaupten. Meine Tür stand für Kritiker immer offen, ich habe nie einen Menschen abgewiesen. Einmal kam eine Frau zu mir ins Büro und forderte ihren Führerschein zurück, der ihr abgenommen war. Man muss dazu wissen, dass Führerscheine in einem Tresor im Landratsamt aufbewahrt werden. Natürlich konnte ich der Frau den Schein nicht aushändigen, also blieb sie. Nach geschlagenen vier Stunden saß sie immer noch auf dem Stuhl und wich nicht aus meinem Büro. Ich brachte es nicht fertig, sie wegzuschicken. Andere wären da sicherlich rigoroser gewesen. Irgendwann konnte ich mich aber nicht mehr aufs Arbeiten konzentrieren und bot ihr an, mich am nächsten Tag nochmals mit ihr zu treffen und nach einer Lösung zu suchen. Darauf ließ sie sich dann endlich ein. Das zeigt auch, dass wir früher höflicher und respektvoller miteinander umgegangen sind. Resultiert dieser Umgang auch aus Ihrem Beruf als Pädagoge? Meine Arbeit als Lehrer, die ich bis zu meiner Ernennung zum Bürgermeister ausgeübt hatte, half mir. Vor allem beim freien Sprechen. Mir wurde oft gesagt, dass ich ein guter Redner sei. Diese Fähigkeit hatte ich mir im Klassenzimmer erarbeitet. Was würden Sie in der Rückschau anders machen? Ich kann behaupten, keine grundlegenden Fehler gemacht zu haben. Aber ob auch aus Sicht der Bürger immer alles richtig lief, vermag ich nicht zu sagen, das müssen andere beurteilen. Wo kriegt man am besten mit, wo beim Bürger der Schuh drückt? Auf Festen und öffentlichen Veranstaltungen. Da habe ich mit möglichst vielen Menschen den Kontakt gesucht. Fünf Feste an einem Abend, das war Standard am Wochenende. Ich konnte nirgendwo lange bleiben, aber ich war überall präsent. Jedes Jahr nahm ich die Bevölkerung auch mit auf die Landrad(t)stour. Da waren hunderte Leute dabei. Ich glaube, wichtig ist, dass man in der Mitte der Bevölkerung bleibt und nicht abhebt. Das Amt bringt eine Art von Erhabenheit mit sich, aber man sollte der Mensch bleiben, der man auch vorher war. Das ist mir gelungen. Was gehört zu den vornehmsten Aufgaben eines Landrats? Das Gratulieren. Einmal durfte ich einer Dame im Namen des Landkreises zu ihrem 100. Geburtstag gratulieren, das ist etwas ganz Besonderes. Zufällig war das am 20. Juli, dem Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Adolf Hitler. Die Jubilarin erzählte mir davon und von der Wirkung, die der Putschversuch auf die Bevölkerung hatte. Von solchen Zeitzeugenberichten habe ich immer sehr profitiert. Am Ende des Gesprächs meinte ich, dass wir uns nächstes Jahr wiedersehen würden, worauf sie schmunzelnd erwiderte: „Gerne, wenn Sie dann noch leben.“ Daran denke ich noch heute. Wie würden Sie die Mentalität des Landkreises beschreiben? Trotz der 50-jährigen gemeinsamen Geschichte spürt man noch die frühere Gliederung. Die Altlandkreise existieren noch immer in den Köpfen der Leute, auch wenn das viele nicht mehr hören möchten. Hier muss ich zugeben, dass ich in diesem Punkt nicht so erfolgreich war wie erhofft. Ich wollte als Landrat eine Einheit schmieden, das gelang mir aber nur bedingt. Ich beobachte auch einen Mentalitätsunterschied zwischen Menschen, die am Main oder im Spessart wohnen, im Gehabe, in der Sprache, in den Ansichten. Vielleicht ist diese Einheit bis zum 100-jährigen Bestehen hergestellt.


Wo halten Sie sich am liebsten im Landkreis auf? Früher war ich sehr viel unterwegs, zu jedem der 120 Orte in Main-Spessart kann ich mindestens eine Anekdote erzählen. Mit unseren ungarischen Hirtenhunden machten meine Frau Martha und ich immer lange Spaziergänge. Meistens zog es uns in den Wald. Das geht jetzt aufgrund meiner eingeschränkten Mobilität nicht mehr so leicht. Worin liegt der besondere Charme des Landkreises? In der Vielfalt. Wir haben Flüsse, Seen, Weinberge, Täler, Wälder. Main-Spessart hat mehr Bäume als Einwohner. Diese Landschaft prägt die Bewohner und wirkt auch auf Besucher sehr anziehend. Wir haben eine niedrige Arbeitslosenzahl und ein hohes Bildungsniveau. Man lebt auf dem Land, hat es aber bis in die Metropolen nicht weit. Wir sind hier nicht in „Hinterdupfing“, sondern leben in einem modernen Landkreis. Es gibt Firmen von Weltruf, die sich bewusst hier niedergelassen haben. Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster blicke, sehe ich auf Nachbarhäuser, die von Russen, Franzosen, Syrern und Türken bewohnt werden. Das zeigt mir, wie attraktiv und international aufgestellt wir sind. Um die Zukunft des Landkreises mache ich mir deshalb keine Sorgen.
Fotos: Silvia Gralla

Armin Grein Armin Grein wurde 1939 in Aschaffenburg geboren und war beruflich als Lehrer tätig, bis er 1972 Bürgermeister von Marktheidenfeld wurde. 1984 wählte ihn die Bevölkerung zum Landrat des Landkreises Main-Spessart. 2008 erreichte er die Altersgrenze und gab das Amt ab. Während seiner politischen Karriere schuf er parallel die Strukturen, um die Freien Wähler (FW) Bayerns zu vereinen, und gilt heute als deren Gründervater. Von 1978 bis 2006 war er FW-Vorsitzender, von 1994 bis 2010 Bundesvorsitzender. Für seine Lebensleistung wurde er vielfach ausgezeichnet. Verheiratet ist der Politiker seit 1966 mit seiner Frau Martha, sie haben drei Kinder und sechs Enkel. Heute lebt das Paar in der Stadt Marktheidenfeld, deren Ehrenbürger Armin Grein ist.