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Eine Biosphärenregion Spessart hätte eine nicht zu unterschätzende Strahlkraft
Der Bewerbungsprozess für eine Biosphärenregion Spessart stellt auch für Landrätin Sabine Sitter eine große Herausforderung dar. Sie spricht im Interview darüber, welches zentrale Thema sie dabei besonders beschäftigt, welche Erfahrungen sie mit Kollegen anderer Kommunen/Gebietskörperschaften und Parteien gemacht hat und welche Sorgen sie den Bürgern im Falle einer möglichen Biosphärenregion bereits jetzt nehmen kann.
„Für mich steckt der besondere Reiz darin, das Nachhaltigkeitsdreieck immer wieder auszubalancieren“ Für Landrätin Sabine Sitter spielt Nachhaltigkeit beim Thema Biosphärenregion eine besonders wichtige Rolle.
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Eine Biosphärenregion Spessart hätte eine nicht zu unterschätzende Strahlkraft
Der Bewerbungsprozess für eine Biosphärenregion Spessart stellt auch für Landrätin Sabine Sitter eine große Herausforderung dar. Sie spricht im Interview darüber, welches zentrale Thema sie dabei besonders beschäftigt, welche Erfahrungen sie mit Kollegen anderer Kommunen/Gebietskörperschaften und Parteien gemacht hat und welche Sorgen sie den Bürgern im Falle einer möglichen Biosphärenregion bereits jetzt nehmen kann.

„Für mich steckt der besondere Reiz darin, das Nachhaltigkeitsdreieck immer wieder auszubalancieren“ Für Landrätin Sabine Sitter spielt Nachhaltigkeit beim Thema Biosphärenregion eine besonders wichtige Rolle.
Frau Sitter, in den letzten Monaten ging es für Sie oft um das große Projekt Biosphärenregion. Brummt Ihnen schon langsam der Kopf vor lauter Forst-, Natur- und Entwicklungsthemen?
Sabine Sitter: Natürlich ist es ein vielschichtiges Thema. Aber gerade das macht es für mich so spannend. Ich versuche immer, bei meinen Themen einen geeigneten Rahmen zu finden. Und den fand ich beim Projekt Biosphärenregion in dem zentralen Begriff „Nachhaltigkeit“. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur den Einklang der ökologischen, sondern auch der ökonomischen und der sozialen Dimension. Hier steckt für mich der besondere Reiz, das Nachhaltigkeitsdreieck immer wieder auszubalancieren, indem man eine schwächer gewichtete Komponente stärkt. Außerdem habe ich eine hohe persönliche Motivation, meinen Kindern und allen künftigen Generationen ein intaktes Ökosystem in einem zukunftsfähigen Main-Spessart zu hinterlassen. Da arbeite ich mich gerne in das komplexe Thema ein.
Ihr Heimatort Gräfendorf grenzt direkt an das Biosphärenreservat Rhön an. Was kann eine potenzielle Biosphärenregion Spessart von ihrem Nachbarn lernen?
Das Biosphärenreservat Rhön ist eine echte Erfolgsgeschichte. Es hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Rhön mit ihrer Lage in drei Bundesländern stärker zusammengewachsen ist und eine gemeinsame Identität aufgebaut hat. Es wurden Grenzen – sowohl geografische als auch mentale – überwunden und übergreifende Kooperationen geschaffen. Ähnliche Grenzen finden wir auch im Spessart, seien es Sprachgrenzen, natürliche Barrieren und Verkehrsverbünde, aber auch eine Landesgrenze. Mit dieser Erkenntnis wollen auch wir die Tür Richtung Main-Kinzig-Kreis auf der hessischen Seite des Spessarts in Zukunft offen lassen. Angesichts der zahlreichen administrativ-föderalistischen Hürden war es sinnvoll, sich erst einmal nur auf die bayerische Seite zu konzentrieren.
Welche anderen Schwerpunkte würde der Spessart im Vergleich zur Rhön setzen?
Bei einer Biosphärenregion gibt vor allem die jeweilige Landschaft und deren Nutzung die Schwerpunkte vor. Bei uns sind das im Wesentlichen zwei Elemente, die sich auch im Namen des Landkreises wiederfinden: Einerseits der Main als historische Lebensader – auf der anderen Seite der Wald mit seinen vielfältigen Funktionen, beispielsweise als Wirtschaftsfaktor und als Ort für Freizeit und Erholung. Aber das ist das Gute und Wichtige: Jede Region braucht ihre eigenen Themenschwerpunkte und bekommt durch diese Einzigartigkeit auch erst ihre Daseinsberechtigung als Biosphärenregion zugeschrieben. Unabhängig davon würden uns Mega-Themen wie Klimawandel, Energiewende oder die demografische Entwicklung guttun. Solche Schwerpunkte diktieren wir jedoch nicht von oben, sondern erarbeiten diese gemeinsam in enger Abstimmung mit allen Akteuren.
Bei der Idee eines Nationalparks im Spessart gab es in der breiten Bevölkerung vielerlei Befürchtungen und Zweifel. Inwiefern können Sie den Bürgern diesmal die Sorge nehmen, die Kernzone der Biosphärenregion könnte ähnliche Konsequenzen nach sich ziehen?
Ein Nationalpark hat völlig andere Zielsetzungen als eine Biosphärenregion, da dabei der Naturschutz absolut im Fokus steht. In einer Biosphärenregion geht es dagegen um die gesamte nachhaltige Entwicklung – und dazu gehören wie gesagt auch die soziale und ökonomische Komponente. Das kann ich gar nicht oft genug betonen. Daher braucht niemand zu befürchten, dass dadurch ein Großteil der Waldflächen künftig nicht mehr genutzt werden würde oder gar Äcker künftig brachgelegt werden müssten. Das zeigen die Zahlen anschaulich (siehe Grafik Seite 6). Vielmehr kann jeder für sich selbst die Balance finden und die Angebote hin zu einer nachhaltigeren Entwicklung nutzen.

Als Gräfendorferin weiß Sabine Sitter über die Vorteile des benachbarten Biosphärenreservats Rhön bestens Bescheid.

Ich möchte meinen Kindern ein intaktes Ökosystem in einem zukunftsfähigen Main-Spessart hinterlassen.
In welchen Bereichen im Spessart sehen Sie das größte Potenzial für eine künftige Kernzone, also für besonders geschützte, vom Menschen wenig beeinflusste Flächen?
Besonders geeignet sind Flächen, die bereits unter Prozessschutz stehen, beispielsweise die im Hochspessart gelegenen Naturwaldflächen des Freistaats Bayern. Generell sind aber alle Waldflächen mit einer Mindestgröße von 50 Hektar kernzonenfähig. Folglich fokussieren wir die Suche nicht nur auf den Hochspessart, sondern auch auf die Randbereiche. Hier sind wir auch auf Kommunen angewiesen, die gegen staatliche Ausgleichsleistungen freiwillig Waldflächen zur Verfügung stellen. Tatsächlich zeigen sich schon jetzt einige Kommunen bereit dazu. Generell nehme ich auch hier eine gute Stimmung und einen konstruktiven Austausch wahr.
Drei Landkreise und eine kreisfreie Stadt müssen ein Projekt gemeinsam koordinieren – hört sich nach einer Mammutaufgabe an.
Ja, den Eindruck bekommt man schnell. Tatsächlich habe ich jedoch den Prozess bisher nie als anstrengend und schwierig wahrgenommen. Trotz unserer verschiedenen Denkweisen und politischen Zugehörigkeiten haben wir uns von Anfang an menschlich gut miteinander verstanden. Das ist, denke ich, vor allem der Tatsache geschuldet, dass wir durch das gemeinsame Kerninteresse alle an einem Strang ziehen und fachlich sehr professionell zusammenarbeiten. Die verschiedenen politischen Lager haben uns am Ende sogar dabei geholfen, das Projekt von allen Seiten angemessen auszubalancieren und alle Interessen und Bedenken ausreichend zu berücksichtigen. Den ersten Meilenstein haben wir nun erreicht, denn die Machbarkeitsstudie hat bestätigt, dass eine Biosphärenregion Spessart grundsätzlich realisierbar wäre!
Was sind die nächsten wichtigen Schritte, die auf dem Weg hin zur Biosphärenregion Spessart unternommen werden müssen? Der Weg hin zur Anerkennung des Spessarts als Biosphärenregion durch die UNESCO gleicht einem Marathon, wobei wir erst ein paar Kilometer zurückgelegt haben. Ob wir dieses Ziel erreichen, bleibt weiterhin offen. Derzeit bemühen wir uns darum, die Bürger und Kommunen von unserem Projekt zu überzeugen. Denn der Bewerbungsprozess soll absolut demokratisch ablaufen: Wir sind auf die Zustimmung der Stadt- und Gemeinderäte angewiesen, die wiederum ihren Bürgern Rechenschaft schuldig sind. Eine der schwierigsten Hürden wird es sein, genügend Flächen für die Kernzone zu finden.
Was würde eine Biosphärenregion dem Tourismus im Landkreis bringen?
Der Blick in andere Biosphärenregionen zeigt, dass das internationale Prädikat der UNESCO Einfluss auf die Wahl des Urlaubsziels hat: Laut einer Studie spielt es für etwa 15 bis 20 Prozent der Touristen eine wichtige Rolle bei ihrer Reiseentscheidung. Eine Biosphärenregion Spessart hätte somit eine nicht zu unterschätzende Strahlkraft, die der Marke „Spessart“ und damit auch dem Rad-, Wander- und Campingtourismus einen enormen Schub geben würde, um nur einige Beispiele zu nennen. Wir brauchen uns mit unserer einzigartigen Waldregion nicht zu verstecken! Genau dieses Selbstbewusstsein würde die Biosphärenregion Spessart nach außen signalisieren.
Und der Landwirtschaft?
Zunächst einmal kann ich den Landwirten die Sorge nehmen, dass die Biosphärenregion für sie Einschränkungen mit sich bringen würde. Die bisherige Nutzung jedes Feldes bliebe davon unberührt. Aber es ist eben Aufgabe von Politik und Verwaltung, Dinge wie diese zu erklären. Gerade die Landwirtschaft würde von einer hohen regionalen Wertschöpfung durch eine Dachmarke stark profitieren, wie uns die Rhön anschaulich zeigt.
Haben Sie Bedenken, dass einige Kommunen das Projekt ablehnen könnten und es am Ende „Lücken“ innerhalb der Biosphärenregion geben wird? Wenn ja, wie wollen Sie die Kommunen von dem Projekt überzeugen?
Es ist das gute Recht der Kommunen, sich gegen eine Beteiligung auszusprechen, wenn sie davon nicht überzeugt sind. Bedenken und Sorgen nehmen wir natürlich ernst und versuchen diese mit Argumenten zu entkräften. Beispielsweise versuchen wir, allen Kommunen zu erklären, dass eine Biosphärenregion keinerlei Einfluss auf ihr Selbstverwaltungsrecht hätte, insbesondere bei der Siedlungsentwicklung. Im Gegenteil: Die Biosphärenregion ist ein Angebot, das Städte und Gemeinden annehmen können. Doch das setzt eine gemeinsame Zusammenarbeit voraus – von nichts kommt nichts.
Bei Unklarheiten und Bedenken können die Kommunen jederzeit auf uns zukommen. Übrigens: Auch die Kommunen im Ostteil des Landkreises, die nicht für das Gebiet vorgesehen sind, würden von der Strahlkraft einer Biosphärenregion Spessart profitieren. Ich bin davon überzeugt, dass durch solch ein identitätsstiftendes Element auch das Zusammengehörigkeitsgefühl für Main-Spessart erheblich gestärkt werden kann!
Fotos: Silvia Gralla